Nabu: Warum alte Bäume erst mit ihrem Zerfall richtig wertvoll werden
Sie standen am Bach und bildeten ein eigenes, kleines Biotop: Drei mächtige alte Weiden, die sicher viel erlebt hatten in den letzten Jahrzehnten. Sie waren Wohnstatt für Insekten, Unterschlupf für Fledermäuse und Wohnstatt für Spechte. Sie spendeten Schatten, verdunsteten viel Wasser, sorgten für ein angenehmes Klima und speicherten natürlich CO2. Vorbei.
Die Stadt ließ auf einem Grundstück von Privatpersonen diese wertvollen Bäume fällen.
Warum? Aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht behauptet nun die Stadt. Auf Luftbildern sehen die Weiden grün und vital aus, die auf dem „Kopf“ wachsenden Zweige und Äste befinden sich in angemessener Größe und zeugen von einem guten pflegerischen Zustand. Die Eigentümerin verweist auf den regelmäßigen Schnitt der Bäume, die noch vorhandenen Kopfweiden bestätigen die Aussage. Neben den vernichteten Bäumen fließt ein Bach, daran schließt sich eine Grünfläche an, erst dann verläuft ein Fußweg, der sich in einem Bogen vom in Rede stehenden Gelände abwendet. Gefährdung der Verkehrssicherheit?
Bei einer tatsächlich vorliegenden Gefährdung der Verkehrssicherheit, wie wir sie gelegentlich bei Bäumen in unmittelbarer Nähe von Verkehrswegen und bei gleichzeitig schlechtem pflegerischen Zustand der Bäume vorfinden, erfolgt ein Rückschnitt der Äste, ein „Schneiteln“ auf den Kopf. Lediglich in ganz wenigen Einzelfällen erfolgt die Entfernung von Bäumen.
Bei alten Kopfbäumen treten nach Jahrzehnten Fäulnisstellen auf, die zum Teil höhlenartig ausgeprägt sind. Sie bilden so hervorragende Nistplätze für Kleinvögel, aber auch für Eulen. In einer durch den Zerfallsprozess gebildeten Mulchschicht finden sich Insekten aller Art, ein besonderes Biotop, welches Rückzugsraum für ein weites Spektrum unserer heimischen Fauna darstellt - und nicht nur für die Fauna. Auch für Pilze und viele Moose und Flechten beginnt deren Lebensraum mit zunehmendem Alter der Kopfbäume.
Nun möchte die Stadt mit dem Einverständnis der Eigentümerin Setzstangen zwischen die verbliebenen Weiden setzen und suggeriert damit Schadenswiedergutmachung. Dies sei mit der Unteren Naturschutzbehörde (UNB) des Kreises Recklinghausen abgestimmt. Die UNB schreibt in einem lesenswerten Beitrag auf ihrer Homepage u. a.: „Neuanlagen von Kopfbäumen sind von großer Bedeutung. Sie können die Lebensraum-Qualität von Altbäumen jedoch erst nach einigen Jahrzehnten erreichen, wenn sich durch Faulstellen Holzmulm und Baumhöhlen gebildet haben...Insofern gilt es, die Restbestände zu pflegen und zu entwickeln.“ (Quelle:https://www.kreis- re.de/Inhalte/Buergerservice/Umwelt_und_Tiere/Umwelt/Untere_Naturschutzbehoerde/Projektfoerderung_Biodiversitaet.asp, zuletzt aufgerufen am 09.04.2024, 20:40 Uhr).
Also auch aus Sicht der UNB ist ein irgendwie gearteter ökologischer Ausgleich nicht einmal mittelfristig zu erreichen, geschweige denn durch das Setzen von Stecklingen.
Was den Vorgang noch skandalöser erscheinen lässt: Vor dem Eingriff soll ein Ortstermin des Bereichs Tiefbau und Grünflächen der Stadt Waltrop sowie des Ver- und Entsorgungsbetriebs Waltrop stattgefunden haben, die das Erfordernis dieser Maßnahme festgestellt haben wollen. Auch ein Artenschutzprotokoll soll erstellt worden sein mit dem Ergebnis, dass sich keine Lebensstätten geschützter Arten in den Bäumen befunden haben.
Die Eigentümerin hingegen stellt klar, dass sich in den Bäumen eine Schlafstatt einer Fledermauspopulation befunden hat und stellte dem Nabu ein Video von umherfliegenden Fledermäusen zur Verfügung, welches zwei Tage nach der Fällung entstanden ist.
Die Begründung, warum der Eingriff auf einem Privatgrundstück stattgefunden hat, mutet ebenfalls abenteuerlich an. Es heißt, die Grundstückgrenzen seien „schwammig“, ferner wird von einem Missverständnis innerhalb der Behörde gesprochen. Ein Blick in TIM-online (Topographisches Informationsmanagement, https://www.tim-online.nrw.de/tim-online2/), ein frei zugängliches Geo-Onlineportal, gibt Klarheit: Die Grundstücksgrenzen sind eindeutig erkennbar, Flur und Flurstücke sind zweifelsfrei zuzuordnen. Ist nicht bereits für einen Laien erkennbar, wie sich die Grundstückssituation verhält? Den Stadtverwaltungen steht selbstverständlich eine wesentlich bessere Software zur Verfügung.
Gleichgültig aus welcher Warte der Vorgang beurteilt wird, bleiben folgende Fragen:
Wie kann es sein, dass eine Stadtverwaltung Grundstückseigentümer nicht korrekt identifiziert?
Was soll es für ein Missverständnis innerhalb der Behörde geben, welches eine derart falsche Schlussfolgerung zulässt?
Wie kann es sein, dass die zuständigen Abteilungen, denen wenigstens ein Mindestmaß an Fachkenntnis unterstellt werden muss, derartig fehlerhaft handeln?
Wurde von ihnen auch das angebliche Artenschutzprotokoll erstellt?
Was soll das für eine Fachfirma sein, die solche Arbeiten ausführt?
Wie kann es sein, dass die Stadtverwaltung einen völlig unzureichenden Vorschlag zur Kompensation unterbreitet?
Anzufügen bleibt noch, dass der Nabu bereits vor einigen Monaten zu einer Baumaßnahme gerufen wurde, bei der die Vorgehensweise schmeichelhaft als äußerst robust bezeichnet werden muss. Dort hatte eine aufmerksame Anwohnerin bereits interveniert und für einen besseren Schutz der Natur gesorgt.
Im aktuellen Fall steht fest: Niemals hätten die Kopfbäume gefällt werden dürfen.
Bei dem Eingriff auf Privatgelände hat die Stadt bereits ihr Büßerhemd angezogen, was bleibt ihr auch anderes übrig?
Leider räumt sie die weiteren fachlichen Fehler nicht ein. Solange dies nicht geschieht und diese Fehler nicht aufgearbeitet werden, können sich derartige Vorgänge stets wiederholen. Dann bleiben nur die aufmerksamen Waltroper Bürgerinnen und Bürger, um den städtischen Umweltfrevel zu unterbinden.
Dr. Andreas Breuckmann
Nabu Ostvest e. V.
Der Naturschutzbund Ostvest will das Verständnis für den umfassenden Schutz der Natur und Umwelt fördern und wecken. Dazu gehört insbesondere die Schaffung und Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen für Pflanzen und Tiere, die Schaffung einer menschenwürdigen Umwelt und die Verbreitung des Natur- und Umweltschutzgedankens.
Der Naturschutzbund vermittelt Kenntnisse über Grundlagen der Ökologie und über die Möglichkeiten des praktischen Natur- und Umweltschutzes.
Einzelbäume, Baumgruppen und Baumreihen haben insbesondere in der ausgeräumten Agrar-landschaft eine sehr hohe Bedeutung als Vernetzungselemente und als (Teil-) Lebensräume für Tiere; ein
Großteil von ihnen sind Waldarten. Mit zunehmendem Alter und Zerfallsgrad des Holzes haben die Elemente einen hervorragenden Schutzwert insbesondere für holzbewohnende Käfer und für
Höhlenbrüter.
Ein besonders wertvoller Nutzungstyp sind Kopfbäume als Lebensräume: Nist-, Futter- und Überwinterungsbiotope für Vögel, Säugetiere und Insekten.
Dabei zählen Kopfweiden zu den insektenreichsten Pflanzen überhaupt. Blattwespen zum Beispiel legen ihre Eier in Blättern der Weide ab, zu erkennen ist dies an den roten Gallen, in denen die
Larven leben. Rund 130 Schmetterlingsarten wie die Falter der Weidenbohrer und etwa 60 Käferarten wie Weber- und Moschusbock, die als Larven im Stamminneren leben, sind auf diese Baumtypen
angewiesen. Im zeitigen Frühjahr bieten weibliche und männliche Kätzchen-Blüten drei unterschiedliche Nahrungsquellen: das grüne Gewebe der Kätzchen-Spindel, die männlichen Blütenpollen und der
Nektar der weiblichen Blüten. An diesem Beispiel zeigt sich, wie dieser Kleinstlebensraum aus noch kleineren Einheiten zusammengesetzt ist und dieser Komplex wiederum einer Fülle von Insekten als
Lebensraum dient.
Weiterhin bieten alte, dicke und mulmreiche Kopfbäume Unterschlupf und Nistgelegenheiten, sind Lebensräume für bestandsbedrohte Fledermäuse und Eulen; in Grünlandgebieten kommt ihnen eine
existenzbestimmende Bedeutung für den Steinkauz zu. Als „Weidenvögel“ seien nur die Weidenmeise und der Weidenlaubsänger (Zilpzalp) erwähnt. Letzterer hat eine engere Bindung an unsere Weiden,
als gemeinhin bekannt ist: Er saugt Nektar aus Weidenkätzchen!
Neben diesem Biotopwert sind Kopfweiden eine „Augenweide“ in der Kulturlandschaft.
Da Kopfweiden heute kaum noch wirtschaftlich genutzt werden, verschwinden sie schleichend aus der Kulturlandschaft. Ausbleibender Pflegeschnitt führt zwangsläufig zum Auseinanderbrechen der Bäume
und zu ersatzloser Rodung der Stämme. Neuanlagen von Kopfbäumen sind von großer Bedeutung. Sie können die Lebensraum-Qualität von Altbäumen jedoch erst nach einigen Jahrzehnten erreichen, wenn
sich durch Faulstellen Holzmulm und Baumhöhlen gebildet haben.
Auch im Kreis Recklinghausen geht der Bestand an alten, wertvollen Kopfweiden außerhalb der Schutzgebiete zurück.
Insofern gilt es, die Restbestände zu pflegen und zu entwickeln.
Waltroper Zeitung – 07. März 2024
Stadt fällt irrtümlich drei Kopfweiden von Daniela Golembiewski
Erst die Polizei beendet die Arbeiten am Altenbruch, die am nächsten Tag sogar weitergehen sollten. Die Stadt Waltrop spricht von einem „internen Missverständnis“.
Ausgerechnet am Valentinstag (14.2.) muss Daniela Golembiewski (47) miterleben, wie es drei geliebten Kopfweiden auf ihrem Grundstück an der Altenbruchstraße an den Kragen geht. Nur noch Stümpfe ragen jetzt am östlichen Ufer des Herdicksbachs aus der Böschung. Die Kita-Erzieherin ist fassungslos, erst die Polizei kann die Arbeiter davon abbringen, die Maßnahmen auf Golembiewskis Privatbesitz fortzusetzen. Die Stadt Waltrop hatte das Unternehmen mit dem Kahlschlag beauftragt – und spricht nun von einem „internen Missverständnis“. Während die Eigentümerin der Überreste der mehr als hundert Jahre alten Bäume von Passanten beschimpft wird.
„Die Firma hat mich erst nicht ernst genommen“, erinnert sich die 47-Jährige an den Valentinstag. „Erst als ich mich buchstäblich vor den Bagger geschmissen habe, hat man mir zugehört.“ Als Golembiewski das Dilemma mit eigenen Augen sieht, ist ohnehin schon fast alles zu spät. Sie arbeitet in Datteln, als ihre Mutter Christel (75) sie über die Vorgänge an der westlichen Grenze der landwirtschaftlichen Fläche nördlich der Altenbruchstraße informiert. „Als ich nach Hause kam, liefen schon die Aufräumarbeiten und ein Baggerfahrer wollte gerade damit beginnen, die Stümpfe zu entfernen.“
Arbeiten sollten tags darauf weitergehen
Von den Arbeitern habe sie dann erfahren, dass diese im Auftrag der Stadt Waltrop „hier alles roden sollen“. Neben den drei Kopfweiden verschwinden auch Brombeer- und Holundersträucher. Und damit sollte laut Golembiewski noch nicht Schluss gewesen sein: „Weitere Kopfweiden und Eschen waren vorgesehen, es wurde von einem ,radikalen Rückschnitt‘ gesprochen.“ Auch abseits ihres Grundstücks hat das von der Stadt beauftragte Unternehmen längs des Herdicksbachs zugeschlagen: Die geschädigte Waltroperin spricht von „vier weiteren Kopfweiden, die nicht hätten gefällt werden dürfen“.
Die Polizei – eine Sprecherin bestätigt auf Nachfrage dieser Redaktion sowohl den Einsatz als auch die Anzeige wegen Sachbeschädigung gegen die Stadt durch Golembiewski – habe die Besitzerin der Bäume gerufen, weil sie das Ordnungsamt an jenem Tag zwischen 14.30 und 15 Uhr nicht erreicht habe. „Die Polizisten haben sich von mir die Grenzsteine meiner landwirtschaftlichen Fläche zeigen lassen und dem Unternehmen weitere Arbeiten untersagt“, so die 47-Jährige. Sie habe sowohl einen Anwalt eingeschaltet, als auch den Naturschutzbund (Nabu) und die Landwirtschaftskammer über den Fall unterrichtet.
Städtische Mitarbeiterin entschuldigt sich für Fehler
Sämtliche Bäume, sowohl die auf ihrem Grundstück als auch die jenseits davon, erklärt die nebenberufliche Landwirtin, hätten so oder so nicht fallen dürfen: „Die Fläche ist ein eingetragenes Landschaftselement. Und die Bäume waren alle bewohnt: von Fledermäusen und einem Grünspecht.“ Zumindest Fledermaus-Arten sind für den städtischen Bebauungsplan „Altenbruch III“ als „planungsrelevante Arten“ festgestellt worden. Einen Tag nach dem Valentinstag, so Golembiewski, telefoniert sie mit der Mitarbeiterin der Stadt Waltrop, die den Auftrag für die Arbeiten erteilt habe: „Sie hat mir gesagt, dass die Grenzverläufe ,schwammig‘ gewesen seien. Nach einer erneuten Prüfung hätte man dann festgestellt, dass es meine Bäume waren. Die Mitarbeiterin hat sich für den Fehler entschuldigt und mir gesagt, dass die Bäume wieder ausschlagen werden. Aber die Kopfweiden machen das nicht. Sie werden vielleicht Triebe bilden, aber sie werden mit Sicherheit nicht mehr das, was sie mal waren. Und ich werde jetzt von Spaziergängern für etwas beschimpft, was ich gar nicht getan habe.“
Das Telefonat mit der Eigentümerin der Bäume bestätigt Stadtsprecherin Tamina Forytta auf Anfrage und räumt auch den Fehler der Verwaltung ein: „Aufgrund eines internen Missverständnisses wurde davon ausgegangen, dass die Weiden sich auf dem Grundstück der Stadt Waltrop befinden. Während des Sommers soll der Austrieb der Weiden beobachtet werden. Eine Überlegung der Stadt Waltrop ist, Setzstangen zwischen den verbleibenden Weiden zu setzen. Dies wird selbstverständlich mit der Eigentümerin abgestimmt. Erörtert wurde die Angelegenheit auch mit der Unteren Naturschutzbehörde des Kreises Recklinghausen, die das Setzen von Weiden-Setzstangen ebenfalls befürwortet.“ Die Sprecherin weiter: „Vor einigen Wochen fand ein Ortstermin des Bereichs Tiefbau und Grünflächen der Stadt Waltrop sowie des Ver- und Entsorgungsbetriebs Waltrop statt, in dem Handlungsbedarf bezüglich der Kopfweiden festgestellt wurde: Zum einen aus Gründen der Verkehrssicherheit, – die Weiden befinden sich in nur geringem Abstand zu einer fußläufigen Verbindung innerhalb des Bebauungsplanes Altenbruch III – zum anderen aus baumpflegerischen Gründen sollten die Weiden auf den Kopf gesetzt werden. Vor Ausführung dieser Arbeiten wurde ein Artenschutzprotokoll erstellt, um sicherzustellen, dass sich keine Lebensstätten in den zu beschneidenden Bäumen befinden. Ergebnis der Überprüfung war, dass sich keine Lebensstätten geschützter Tierarten in den Bäumen befanden und die vorgesehenen Arbeiten somit keine Beeinträchtigung derselben darstellen würden. Bei den drei Weiden handelt es sich zudem nicht um geschützte Landschafts-Bestandteile. Dies trifft lediglich auf die Kopfweiden südlich der Altenbruchstraße zu.“
Bei der Ausführung der Arbeiten seien dann „umfangreiche Fäulnisse im Innern der Baumstämme festgestellt“ worden. Forytta: „Daher mussten die Weiden stärker als bei einem regulären Kopfbaumschnitt üblich abgesetzt werden.“
„Ich selbst hätte den Ärger meines Lebens bekommen“
Daniela Golembiewski bleibt dabei: Die Bäume waren bewohnt. Und hinsichtlich Verkehrssicherheit und Fäulnis sagt sie: „Man hätte mich als Eigentümerin doch anschreiben müssen, dann hätte ich das überprüfen lassen und hätte gegebenenfalls gehandelt. Wäre ich diejenige gewesen, die diese drei uralten Kopfweiden einfach gefällt hätte, hätte ich den Ärger meines Lebens bekommen!“
Ein Video finden Sie unter:
www.waltroper-zeitung.de
Im Spätsommer 2023 konnten wir der Presse entnehmen, dass die Lippeaue bei Haus Vogelsang nicht als Projekt der Internationalen Gartenausstellung 2027 angenommen wurde. Gründe hierzu wurden nicht genannt und konnten wir bisher auch nicht in Erfahrung bringen, aber der Nabu Ostvest freut sich über diese Entscheidung und dass vielleicht auch seine intensiven Bemühungen zum Schutz dieser Landschaft dazu beigetragen haben. Wir bleiben wachsam…
„Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet“
(Hans-Magnus Enzensberger, 1979)
Die Lippeaue in Datteln bei Haus Vogelsang als Teil des Projekts 2Stromland auf der IGA 2027
Wandernde kennen und schätzen das Gebiet rund um Haus Vogelsang auf Dattelner Seite der Lippe. Die dort brütenden Weißstörche ziehen viele Ornithologen an, zu sehen sind dort jedoch noch viele weitere Stand- und Zugvögel. Wer ein Foto vom Braunkehlchen oder Schwärme von Bach- und Wiesenschafstelzen schießen möchte, hat sich den richtigen Standort ausgesucht – etwas Geduld vorausgesetzt.
Ein Blick auf die Karte¹ zeigt den besonderen Status des Gebiets: Es handelt sich um ein Flora-Fauna-Habitat (FFH), also ein besonders schützenswertes Areal.
FFH-Gebiet – Was ist das überhaupt?²
Bei der Richtlinie über Flora-Fauna-Habitate handelt es sich um eine Vorschrift über die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der in diesem Lebensraum typischerweise vorkommenden Pflanzen und wildlebenden Tiere (Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992).
Unter dem Begriff „Natura 2000“ soll ein europäisches Netz (in der EU) mit einer repräsentativen Auswahl aller Lebensräume von gemeinschaftlichem Interesse zur Schutz der Biodiversität (der biologischen Vielfalt) aufgebaut werden. Hierzu dienen die FFH-Richtlinie sowie die Vogelschutzrichtlinie.
In den besonderen Schutzgebieten sind geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten zu vermeiden.
Und nun das: Für die Internationale Gartenbauausstellung 2027 wurde die Lippeaue bei Haus Vogelsang unter dem Projekttitel „2Stromland“gemeldet.
Was hat eine Internationale Gartenbauausstellung (IGA) mit einem FFH-Gebiet zu tun?
Nichts, möchte man meinen. Bei der Internationalen Gartenbauausstellung soll es sich um eine internationale Leistungsschau des Garten- und Landschaftsbaus handeln. Üblicherweise orientiert sich eine IGA an urbanen und/oder aufzuwertenden Orten und nicht an einem Fluss, der noch einen Teil seines ursprünglichen Charakters bewahrt hat bzw. aufwändig renaturiert wurde.
Gleichwohl hat sich die Stadt Datteln um die Teilnahme beworben. Dazu motiviert wurde sie u. a. in der öffentlichen Sitzung des Ausschusses StaUBV (Ausschuss für Stadtentwicklung, Umwelt, Bauen und Verkehr) der Stadt am 21.01.2020 von der Landschaftsagentur Plus, die ihren Sitz auf Haus Vogelsang hat.
Wo liegen die Bedenken im Sinne des Naturschutzes?
Wie der Projektname 2Stromland vermuten lässt, geht es hier um die Verknüpfung des Dattelner und Olfener Gebiets der Lippeaue. Die Olfener Seite der Lippe ist nicht großräumig, sondern nur sehr eingeschränkt als FFH-Gebiet ausgewiesen. Während auf Dattelner Seite eher Naturliebhaber und Wanderer anzutreffen sind, sieht es auf Olfener Seite deutlich anders aus. Dort spielen Wegeleitung, Respekt vor der Natur, Rücksichtnahme eine untergeordnete Rolle.
Hunde toben am Ufer und in der Lippe, Mountain-Biker fahren auf die Uferkante, Reste von Lagerfeuern auf der Wiese …
Mit der Bewerbung um das IGA-Projekt sollen die Bereiche miteinander verbunden werden. Zunächst war eine Brücke über die Lippe , in Verlängerung des Weges, der am Storchennest vorbeiführt, geplant, nun soll es eine Fähre werden. Gleichgültig, welche Lösung angestrebt wird, es wird zu einer Beeinträchtigung der sensiblen Bereiche führen.
Damit jedoch nicht genug, die Landschaftsagentur Plus mit Sitz am Haus Vogelsang plant Großes und nennt in ihrer Präsentation den zentralen Punkt ihrer Aktivitäten:
„Ziel: Finalisierung der touristischen Erschließung“
Einige Beispiele aus der Präsentation:
> Fahrzeugpool
> Übernachten in der Wildnis
> Candlelight-Dinner direkt an der Lippe
> ...
Der Naturraum dient offensichtlich als Vehikel für den Ausbau des touristischen Angebots, was ein weiterer Ausschnitt aus einer der Präsentationen belegt:
„...Angedockt an die künftige „Akademie Vogelsang“ werden auf dem Gelände von Haus Vogelsang auch Gastronomie und ggf. Beherbungsmöglichkeiten geboten. Das Besucherzentrum ist der zentrale Ausgangspunkt für Touren in die Wildnis.“
Ferner wollten die Initiatoren suggerieren, der Nabu würde die Bewerbung und die Vermarktung rund um Haus Vogelsang unterstützen. Das NABU-Logo (s. unten) wurde missbräuchlich in einer Präsentation verwendet und wurde erst durch nachdrückliche Intervention entfernt. Die Positionen zwischen Bewerbern und dem Nabu wurden in einer gemeinsamen Sitzung ausgetauscht. Der Nabu lehnte eine angebotene Mitarbeit in den Gremien wegen der einseitigen Ausrichtung im Sinne des Tourismus und der zu erwartenden Schäden in der Natur ab, zumal möglicherweise Rechtsverstöße bei dem Vorhaben in Kauf genommen werden.
Aus Sicht des Nabu-Ostvest stellt die Positionierung der IGA-Initiatoren einen einzigartigen Euphemismus im Sinne des Naturschutzes dar. Die Präsentationen, aufwendig und ansehnlich gemacht, zielen vollständig an Natur- und Artenschutz vorbei. Wirtschaftliche Interessen – hier Tourismus – sollen wieder einmal den Naturschutz unterdrücken. Hoffentlich bewahrheitet sich für die Lippeauen nicht die Aussage eines Wissenschaftlers (aus Vorlesung zu „Grundlagen der ökologischen Planung“, Uni Münster)
„Deutschland hat viele Schutzgebiete, aber sie schützen nicht!“
Und was macht nun Enzensbergers Tourist? Sucht er, findet er? Lässt er sich anlocken vom Candle-Light-Dinner an der Lippe?
² Die Bundesregierung übermittelt in regelmäßigen Abständen nationale Daten an die EU
FFH-Bericht: Konsequenter Naturschutz entscheidend für Zustand von Arten und Lebensräumen (19.09.2019)
Der Zustand von vielen geschützten Lebensräumen und Arten in Deutschland ist weiterhin kritisch. Dies geht aus dem Bericht zur Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (-Bericht) hervor, den Deutschland an die Europäische Kommission übermittelt hat. Der Bericht fasst die Entwicklung der Jahre 2013 bis 2018 zusammen. Arten und Lebensräume sind demnach vor allem dort in einem günstigen Erhaltungszustand, wo der Mensch als Nutzer nicht oder nur begrenzt eingreift beziehungsweise naturschutzkonform wirtschaftet. Landwirtschaftlich genutzte Lebensräume sind laut den Ergebnissen des Berichtes überwiegend in einem schlechten Zustand.
Bei den Lebensräumen sind 30 Prozent in einem günstigen Zustand, darunter der überwiegende Teil der Fels- und Schuttlebensräume und großflächig verbreitete Buchenwälder in der kontinentalen Region. In einem schlechten Zustand befinden sich insgesamt 37 Prozent der untersuchten Lebensräume, besonders Grünland- und Gewässerlebensräume.
Zum Weiterlesen:
https://www.rvr.ruhr/themen/oekologie-umwelt/internationale-gartenausstellung-2027/
https://de.wikipedia.org/wiki/Internationale_Gartenausstellung_2027
https://landschaftsagenturplus.de/artenschutz/
https://de.wikipedia.org/wiki/Internationale_Gartenbauausstellung
Zur eigenen geografischen Recherche³:
https://www.geoportal.gkd-re.de/kreis-re/geoatlas
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Der Baumbestand in der Haard wird umgebaut
Das ist das bereits in der Presse angekündigte Ziel des RVR (Regoinalverband Ruhr - zuständig für das Waldgebiet). Die Pläne des RVR wurden übrigens vorab mit der unteren Naturschutzbehörde beim Kreis Recklinghausen und der biologischen Station des Kreises Recklinghausen abgestimmt. Damit steht fest, dass die eigentlichen Hüter des Waldes, die auch den Wald bewirtschaften, keine Alleingänge auf der Basis einsamer Entscheidungen durchführen, sondern es geht um die Umsetzung eines gemeinsamen Plans.
Kurzum: Der Wald wir umgebaut. Fremde Arten wie Schwarzkiefer und Roteichen, vor Jahren als schnelle und sichere Holzlieferanten angepflanzt, werden entnommen, damit die ursprüngliche Besetzung des Waldes, nämlich Buchen und Eichen, sich besser durchsetzen können gegen die Konkurrenz, die als Amerikaner eigentlich nicht zu unserem Originalpflanzenbestand gehören und eimheimische Arten zurückdrängen.
Ein Blick zurück
Natürlich sind diese fremden Arten von den Waldbetreibern mit gutem Grund geholt und angepflanzt worden. Die Haard sollte Nutzholz liefern, und zwar möglichst schnell, vor über 100 Jahren, als der Bergbau zwecks Kohle-(Energie-)gewinnung geradezu explodierte, war viel zu wenig Nutzholz vorhanden, also musste gehandelt werden. Sicher ist heute nur, dass Nadelhölzer im Bezug auf das Überleben des Waldes nicht die zukünftigen Heilsbringer sind. Sie brennen leicht, von daher bietet sich der Umbau auf mehr Laubbäume an. Eine schnelle Lösung schienen Arten aus Übersee zu sein, robust, schnell wachsend, gut von der Holzwirtschaft einsetzbar.
Welche Arbeiten werden durchgeführt?
Auf Perspektive stellte man fest, dass diese Arten zwar durchaus brauchbar sind, robust, schnell wachsend, aber sie "buttern die alten Arten wie Eichen und Buchen unter", sie nehmen diesen Bäumen Platz und Licht, hemmen also deren Wachstum. Es ist also nicht so, dass diese fremden Arten nicht brauchbar sind, aber sie leben auf Kosten der gewünschten Altbestände, die wir hier sehen wollen, und das wird reguliert, und zwar duch schonende Entnahme der Fremdlinge. Im Wald gibt es seit Jahrzehnten zwischen den Baumbestände und unabhängig vom Wegesystem sg. Rückegassen, diese werden immer wieder genutzt, um beidseitig im Rahmen der möglichen Reichweite der eingesetzten Maschinen Bäume zu entnehmen.
Die Entnahme erfolgt mit großen Maschinen, die die Bäume herausziehen, sofort von Ästen befreien und zum Abtransport vorbereiten bzw. sie zum Lagerplatz bringen, von dem der Abtransport erfolgt. Große Maschinen sind dabei effektiver als allein Menschenkraft, auch Zugpferde können zwar helfen, aber bei größeren Lasten stoßen sie eher an Grenzen als Maschinen.
Klar ist natürlich, dass die Rückegassen bei der Arbeit mit schweren Maschinen im Wald im Bodenbereich nachhaltig verdichtet und geschädigt werden. Fährt ein- oder mehrere Male schweres Gerät durch den Wald, wird der Boden nachhaltig und oft für unabsehbare Zeit so festgefahren, dass Bäume und Sträucher dort nur schwer wieder angesiedelt werden können. Nun ja, das muss aber im Kauf genommen werden, sagen die Experten des RVR. Und da es unvermeidbar ist, dass so eine Arbeit den Boden verdichtet, so ist es sinnvoll, sicjh auf einige wenige Strecken im Wald festzulegen und nicht kreuz und quer durch die Bäume zu fahren, das würde dann hinterher eher einem Truppenübungsplatz der Panzereinheiten ähneln als systematischen Waldaufbau. Wenn schon Schäden, dann aber wenige und begrenzt, da steckt natürlich auch Logik hinter.
Also fremde Bäume raus, mehr Platz für alle verbleibenden Bäume und auch für neu (alte) Arten wie Eichen und Buchen. Fichten und Tannen, also Nadelbäume, sollen nicht mehr das Rückgrat unseres Waldes sein. Dabei hat man auch gewünschte und unerwünschte Besucher, zB. den Eichenprozessionsspinner im Auge. Unser Wunschbaum soll also resistent gegen Krankheiten, gegen Waldbrand, gegen Stürme, Trockenheit, zu viel Wasser, kurzum gegen alles was schadet, sein. Klar ist, diesen Baum gibt es nicht, es gibt immer nur eine Lösung, die Alternativen anbietet, Alleskönner sind zwar erwünscht, aber nicht beschaffbar. Also muss man sich von vielen Lösungen etwas aussuchen, was weitestgehend dem Anforderungsprofil entspricht. Und da sind einheimische Baumarten eben ganz vorn. Wer Jahrhunderte bei uns überlebt hat, könnte es also (vom Klimawandel abgesehen) wohl schaffen, meinen die Fachleute.
Warten wir ab, aaaaaber die Holzexperten rechnen nicht in Jahren und nicht in Jahrzehnten, was tatsächlich mit dem Wald wird bzw. ob alles so funktioniert hat wie es geplant war, da können sich unsere Enkel und Urenkel noch mitbefassen. Optimismus hilft in jedem Fall.
Ein wichtiger Informationstermin
Drei RVR-Forstwirte haben ca. 25 Besucher geführt und alles erklärt, was gefragt wurde - und noch viel mehr. Es waren auch Leute aus dem Nachbarkreisen da, die sich einfach gefragt haben, was am Brinksknapp-NSG passiert, könnte das auch bei uns so laufen bzw. haben wir denn auch Handlungsbedarf? Die Führung des NABU übernahm eine Kollegin des NABU-Ruhrgebietes. Der NABU Ostvest war durch einen Sprecher, nämlich Dr. Andreas Breuckmann und den Unterzeichner vertreten. Ich bin am Brinksknapp ortskundig, aber was ich auf den Wegen und den freigeräumten Flächen gesehen habe, hat mich zunächst einmal "schlucken lassen". Sodom und Gomorrha lassen grüßen, aber in aller Regel bleibt ja bei solchen Arbeiten nach einiger Zeit jedenfalls eine Perspektive. Tatsächlich erholt sich unsere Natur auch nach einem kapitalen Sturm oder Waldbrand - wenn auch erst in Jahren oder jahrzehnten, durch Selbsthilfe. Das tröstet natürlich.
Der Brinksknappsee ist künstlich, ein ehemaliger Sprengtrichter, er hat keine Quellen oder Bäche, die ihm ständig Wasser zuführen. Deswegen ist auch der Restbestand am Moorgebiet im Einzugsbereich hochgradig ebenso gefährdet wie der eigentliche Teich, kein Regen, kein Wasser, keine dauerhafte Feuchtigkeit = es folgt die Versteppung. Also keine Frösche, keine Libellen, keine Teichvögel, das könnte ohne regelmäßigen Regen die Zukunft des Teiches bzw. des gesamten Schutzgebietes sein. Das jedoch liegt nicht allein am Klimawandel. Die Haard war immer schon trocken und hatte wenig Bäche und Teiche. Der Bergbau unter der Haard hat ganze Bach- und Teichgebiete endgültig verschwinden lassen - denken wir an das vor einigen Jahren sehr schöne Gernebachtal mit den dazugehörenden jetzt trockengefallenen Fischteichen. Das wäre dann die Realität, der wir uns ggf. stellen müssen, der Brinksknappteich läuft in Gefahr, das Schicksal des Gernebachbereiches zu teilen.
Ich kenne noch ein weiteres angebliches Feuchtgebiet, das dieses traurige Schicksal wohl jetzt schon teilt, das ist das NSG-Jaust-Bruchwald zwischen den Straßen In den Rehwiesen und der Redder Str.auf Dattelner Gebiet in der Haard . Der Bach, der dort einen erhaltungswerten Erlenbruchwald feucht hält - halten soll - , ist seit Jahren trockengefallen. Die Verlandung hat dort schon längst eingesetzt.
Aber wir bleiben positiv. Die Landschaft selbst auch ohne eine stetige Wasserquelle könnte vielleicht einen eigenen Reiz entfalten...
Ulrich Kamp
NABU Ostvest 20.12.2022
Ein Herbstbild aus Oer-Erkenschwick, geschossen auf der großen Waldwiese zwischen Holtgarde und Lohhäuser Straße. Wunderschönes Farbenspiel!